Akzeptanz

Er war gerade fünf geworden, als sein Stiefvater ihn rief. Er rief mit dieser Stimme, die er am wenigsten mochte und wusste, dass er sofort kommen musste. Es war eigentlich schon spät und er hatte nichts zum Abendessen bekommen, hatte die Zähne geputzt und war schon im Bett. Naja, auf der Matratze. Er legte seine Bettdecke mit den roten Autos darauf zur Seite und ihm war übel, vielleicht vom nichts Essen oder von seiner Stimme. Er lief nicht schnell, nicht langsam, gerade so zügig wie nötig, um einen zweiten Ruf zu verhindern und noch ein paar Mal ruhig atmen zu können. Als er die Tür zu ihrem Schlafzimmer öffnete, kniete sie nackt auf dem Bett und er war hinter ihr, grinste breit und meinte irgendetwas mit es sei an der Zeit, dass er das mal erfahren solle. Während er mit einer stärker werdenden Wucht seinen Pullermann gegen den Po seiner Mami haute, sah er ihren Blick. Sie lächelte und blickte sanft. Ihm wurde trotzdem übel und als ihm die bittere Flüssigkeit in die Nase stieg, öffnete er den Mund und die stinkenden Brühe lief auf sein T-Shirt. Er hatte es heute auf dem Spielplatz das erste Mal angehabt. Sina hatte es bemerkt und es sich genau angesehen. Als er sich umdrehte und das Schlafzimmer verlassen wollte, hörte er ihn noch lachend etwas rufen. Das störte ihn nicht mehr, würde ihn vielleicht nie mehr stören.
Seinen richtigen Vater besuchte er auch manchmal. Der hatte eine eigene Familie und die waren ganz in Ordnung. Er war irgendwie der, der nicht in Ordnung war. Zum Beispiel waren seine Schuhe dreckig und es kam ihm auch so vor, als wäre er selbst eigentlich gar nicht wirklich willkommen. Akzeptiert? Ja, das schon. Nur das.

getrennt zusammen

Langsam – ein bisschen zu langsam – liefen sie nebeneinander her und die kleinen Steine bohrten sich sanft in seine Fußsohlen und er wünschte es sich mehr als sonst. Einfach mal wieder den Arm um sie legen und sie an sich ziehen und, ja, sie würde ihn küssen wie damals vor ihr, der kleinen Version von ihnen, die ein paar Meter hinter ihnen glucksend Muscheln sammelte. 
Sie wollte dasitzen und einfach nur sehen wie die Sonne mit der Nacht verschmolz und den Kopf an seine Schulter legen. Doch er würde dann wieder mehr wollen und das endete eigentlich immer in irgendeiner Auseinandersetzung. Außerdem wäre es vielleicht endgültig vorbei und zwar nicht für sie, nein, für Lydia und sie seufzte und lächelte ihn an mit einem dieser falschen Lächeln, die sie vor dem Spiegel geübt hatte.
Als er zu später Stunde das Zimmer verließ, wusste sie, dass er wieder zu diesen Frauen ging und der Groll von damals kroch ihre Brust hinauf und löste sich in einem: „Weck mich später bitte nicht, Mark, und geh’ duschen. Ich will hier nicht überall diesen Geruch nach billigem Parfüm haben.“ Er verließ das Zimmer mit diesem Gefühl, das ihn von innen auffraß und das er so gewohnt war, seit, ja, seit sie getrennt zusammen lebten.
An diesem Abend passierte es jedoch gleich auf der Treppe. Er bemerkte zuerst ihre Haare, irgendwie total wild, und dieses Lächeln, ungeschminkt und ehrlich. Vielleicht würde er hier auf Sylt auch eine kleine Affäre beginnen, dachte er noch ehe er sie ansah mit diesem Blick, den er hervorzaubern konnte; ebenso gekonnt wie sein lässiges Grinsen. Sie und er, Nacht für Nacht in den kommenden zehn Tagen, das wäre doch was. Während der Gedanke seinen Körper durchflutete, fing sein Blut zu pochen an. Dort, wo er es am liebsten spürte. Ihr war wohl auch nach einem Getränk, denn er musste nicht mal besonders charmant sein. Sie hieß Tonja und später schafften sie es kaum aufs Hotelzimmer. Sie liebten sich die ganze Nacht und als er gegen Mittag aufwachte, wollte er nicht zurück. Während er die Zimmerdecke betrachtete und den Geruch der letzten Nacht noch einmal tief in sich aufsog, lächelte er und blieb. Erst um zwei rief er Arianne an. Es war ein kurzes Gespräch, kurz und kalt, erschreckend wenn man bedachte, was da nun wirklich alles für immer zerbrach.

deine Poesie in mir

Ich fühle sie in mir, diese Poesie, deine.
Manchmal in meinem Herzen, manchmal in meinem ganzen Körper und in meinem Geist auch.
Ich liebe sie, diese Poesie, deine.
Manchmal sehr und ohne Einwände und voller Stolz, auch weil, ja, weil du bei mir bist und meine Poesie brauchst. Dich danach sehnst und du ohne sie ein anderer Mensch geworden wärst. Vielleicht ein trauriger. 
Du bist es, durch den meine Poesie einen Sinn entfaltet, ganz gleich welche Farbe oder welchen Geschmack sie hat. Du bist es, für den ich sie zum Klingen bringen möchte, für den sie strahlen soll, in mir, in dir und in denen, die sie in sich aufnehmen und tragen wollen, für eine Weile, einen Wimperschlag oder für immer.

nie kapiert

Er hatte es eigentlich gar nicht so richtig kapiert damals. Also wie schlimm das für sie sein würde diese einmalige … oder gut halt diese Berührungen. Später hatte er es immer gespürt, vor allem wenn er sie mal sah und eben verstand, was das mit ihr machte. Am liebsten hätte er mal offen mit ihr gesprochen und diese Scham mal so richtig gespürt. Sehnte sich sogar ziemlich oft danach diesen Schmerz, den er verursacht hatte, so richtig zu erfassen. War komischerweise ein angenehmes Gefühl. Vielleicht weil es sich so echt anfühlte. Doch mit der Zeit hatte er sich an dieses beschämende Gefühl gewöhnt und war immer bequemer geworden und die Lust mit ihr oder irgendwem darüber zu reden war erloschen. Jetzt da noch was zu ändern, das war doch Irrsinn, sagte er sich, obwohl er jetzt eigentlich viel besser verstand, welche Gefahr seine Sehnsucht nach diesem zarten, jungen Fleisch in sich trug. Außerdem wusste er jetzt, was auf dem Spiel stand. Sein Leben würde dann in ein dunkles Schwarz eingehüllt verschwinden. Sprich die Gesellschaft würde ihn dann genauso meiden wie man sie früher immer gemieden hatte. Sie sein Opfer. Vielleicht fand er sie deshalb heute nicht mehr so geeignet für sowas. Hatte sich toll entwickelt. Er war irgendwie stolz auf sie und hätte ihr das wirklich gern mal gesagt, aber das ging wie gesagt nicht. Nun ja, trotzdem fand er es einfach ungerecht, dass man nicht einfach zur Polizei gehen konnte und sagen durfte, dass man da gerade Scheiße baute und dann eben Hilfe bekommen würde und sie auch, klar. Außerdem ging es da ja auch mittlerweile nicht mehr nur um sie und wenn das wirklich mal aufhören sollte, dann bräuchte er echt mal dringend Hilfe, weil nun ja. Was für den Junkie die Heroinspritze war, war für ihn dieser Moment, wenn sie sich nah waren. War einfach zu kostbar, allein dieser Geruch und eigentlich alles. Alles außer dieses Zwingen müssen. Er hatte auch nie so ganz verstanden, wieso das sein musste. 

laut gedacht

Kennt ihr das, wenn man atmet und froh ist, dass es ein Reflex ist, weil man glaubt sonst ersticken zu müssen am Hass und so? Hab immer Angst gehabt, dass diese Energie mir mal meine Würde nimmt. Ist aber nicht passiert und klar, das mit dem Atmen ist eben eine wichtige Erkenntnis. Vorher hab ich nämlich immer so viel gedacht, wegen den schmerzhaften Gefühlen und auch manchmal blöd reagiert. Das hat sich halt nun als überflüssig bei mir herausgestellt. Vielleicht werde ich dadurch stärker, nur ich mag gar nicht so stark sein. Was ich allerdings bemerkt habe: Ich komme besser allein zurecht. Ziemlich traurig. Außerdem bin ich trotzdem noch bereit zu sterben. Einfach weil mir der Materialismus nichts gibt und die Menschen nur an sich denken. Deswegen bin ich auch gar nicht mehr so heiß darauf glücklich zu werden oder lange zu leben. Vielleicht ist mein Motto: Schnell wieder weg von dem Planeten ohne meine Seele zu zerstören. Allerdings geh ich jetzt erstmal kurz raus und ess ein Eis und tu so als wäre ich auch am Leben interessiert. Bis dann.